Klinikum Crailsheim

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Aktuelles aus der Presse

Wir informieren Sie hier über aktuelle Themen und Aktionen über die in der Presse berichtet wurde:

Gott ist da

Gott ist da, darum muss ich mich nicht kümmern

Matthias Brix spricht über die Arbeit eines Klinikseelsorgers im Crailsheimer Krankenhaus, über nächtliche Anrufe, den inneren Reichtum aller Menschen und die Freude am Umgang mit den Ehrenamtlichen. Von Birgit Trinkle

Alles Liebe für Sie“ steht im Buch, das im Raum der Stille ausliegt; wie viele andere Einträge zeugt diese Dankadresse von der Hilfe, die Patienten des Klinikums bei Seelsorger Matthias Brix finden. Der hat ganz eigene Vorstellungen von seiner Arbeit.

Wenn jemand im Bett liegt und nicht aufhören kann zu weinen, ist das der Moment, in dem die Stationen Sie anrufen?

Matthias Brix: Nein, die wissen doch alle jetzt schon nicht mehr, wie sie zurechtkommen sollen. Die Physiotherapeutin hat während der Behandlung das Handy parat, weil sie sofort Daten eingibt, die sie nachher nochmals handschriftlich festhalten muss. Die hat dreierlei zu tun, da kann sie nicht noch als Viertes dem Pfarrer Bescheid geben.

Dann kommen die Patienten zu Ihnen?

Eigentlich funktioniert’s nach dem Zufallsprinzip. Ich klopfe an und frage, ob ich störe. Alle kann ich nicht besuchen, aber am Heiligen Abend steh ich ganz früh auf und werfe zumindest einen Blick in jedes Zimmer. Es kommt allerdings vor, dass ich daheim angerufen werde. Meistens nachts, gegen halb vier.

Weil da die Nacht am dunkelsten ist und die Angst am größten?

Nein, da stört’s am meisten (lacht). Manchmal ist es dann jemand, der sagt, er braucht Zigaretten. Seelsorge ist nicht immer eine Begegnung in Verzweiflung, oft wird das Gespräch gesucht, einfach so, und das ist schon richtig. Da geht es dann nicht um Zigaretten.

Dachten Patienten früher, sie würden gestraft, weil sie nicht fromm genug waren, gibt es heute die Ansicht, der Krebs sei gekommen, weil sie nicht gesund genug gelebt haben, nicht ausreichend positiv gedacht. Das Gefühl selbst verantwortlich zu sein für die Krankheit, was können Sie dagegen tun?

Für Menschen ist es unerträglich, keinen Grund zu finden. Deshalb sind viele glücklicher damit, sich selbst die Schuld zu geben als Unerklärbares zu akzeptieren. Damit zu leben, ist immer eine Einladung, sich auf Gott einzulassen. Gott – ich verwende diese vier Buchstaben eher weniger. Gott ist immer da.

Warum haben Sie Theologie studiert?

Theologe sein, Pfarrer, ist ein ganz vielfältiger Beruf – ein Theologe ist immer auch Therapeut und Lehrer und noch viel mehr. Vor allem aber braucht es einen inneren Zugang zum Geheimnis des Lebens. Das ist das größte Geschenk, das ist Gnade. Kein Wunder, dass da die Frage aufkommt, ob man das zum Bezahlberuf machen darf. Natürlich wird nicht jeder, der diese Nähe findet, Pfarrer, das wäre ja auch furchtbar. Auf der anderen Seite haben viele Seelsorger diese letzte Ebene nie erreicht. Ein guter Therapeut und ein guter Seelsorger legt sich selbst in die Waagschale.

Um etwas besser machen zu können?

Ich habe ein Problem mit der Helferrolle. Wenn Sie als Patientin ein solches Gespräch mit mir führen, ist das eine Entdeckungsreise. Wir erkunden gemeinsam die Möglichkeiten, die in Ihnen stecken. Sie können das: Das ist die entscheidende Erkenntnis. Und dass Sie in sich entdecken werden, was Sie suchen. Unser Gespräch ist nur die Erinnerung daran, dass da etwa in Ihnen ist, das Sie zum Ziel trägt; wissen tun Sie das längst. Ein Physiotherapeut trägt Sie ja auch nicht durchs Krankenhaus, er lässt Sie selbst gehen. In meinen Gesprächen gibt es nie eine Hierarchie.

Viele Patienten haben niemanden, mit dem sie reden können. Sie sind völlig vereinsamt, oder sie tragen alles alleine, weil sie die Familie nicht belasten wollen. Und sie sind verzweifelt. Wie kann ein solcher Austausch mit Ihnen dann auf Augenhöhe stattfinden?

Auf einem Machtgefälle aufzubauen, die Hilflosigkeit des anderen zu benutzen, um sich in der eigenen Hilflosigkeit zu trösten, das ist schon irgendwie eine Berufskrankheit, und es ist erbärmlich. Was im Übrigen auch für Ehrenamtliche gilt. Stimmt schon, ich komme da als gesunder Mann ins Zimmer, der im Gleichgewicht ist, oft zu jemandem, den niemand trägt, dessen Traurigkeit niemanden weinen lässt. Aber man verbindet sich ja mit diesem Menschen, so eng, dass eine Einheit entsteht. Das gehört zur Seelsorge dazu, wie’s zur Liebe gehört. Was mir hilft, ist Gottvertrauen und die Erkenntnis, dass ich nur Initiator dieses Gesprächs bin, dass Gott dabei ist. Glücklich ist, wer dann in Selbstvergessenheit agieren kann. Das macht mich demütig und dankbar.

Was, wenn kein Gespräch stattfinden kann, wenn die Familie Sie um Ihr Kommen bittet?

Wenn ich nachts aus dem Schlaf in den Familien- und Schutzkreis eines Sterbenden komme, am Pförtner vorbei – die sind übrigens die wichtigsten Seelsorger des Hauses – bleibe ich zunächst stehen und rede nicht. Und dann spreche ich erst mit dem, um den es geht, auch wenn er beatmet wird. Das ist ein ganz wichtiges Thema. In einer Münchner Klinik ist das Buch „Traumland Intensivstation“ entstanden, und wir wissen heute, dass jemand, der dort liegt, in ganz besonderer Weise gegenwärtig ist. Da spielt die Hypnotherapie nach Milton Erickson rein, die für mich der Königspfad ist, sich miteinander auf den Weg zu machen. Damit finden Menschen einen Zugang zu sich selbst, entspannt und hochempfänglich zugleich.

Sie sprechen von Trance?

Es geht immer darum, einen inneren Pfad zu sich selbst zu finden, ganz ohne Anstrengung, dorthin wo innerer Reichtum und großes Wissen liegen. Den Weg geht jeder für sich, ich begleite ihn nur. Ich werde aber eines nicht tun, nämlich ihn missionieren, als ob er gottlos wäre. Gott ist da, darum muss ich mich nicht kümmern. Die Missionsstrategie ist erniedrigend. Die Menschen ihre eigene Größe entdecken zu lassen und dann gemeinsam dankbar darüber zu staunen; darauf gründet mein Verständnis von Seelsorge, und es ist unerheblich, ob da ein Sterbender liegt oder ein junger Mann, der sich bei seiner Firma einen Stromschlag eingefangen hat, nur für eine Nacht da ist – und sich ansonsten ganz auf seinen Körper verlassen kann.

Sich so unbedingt einlassen auf den anderen, das gelingt Ihnen immer?

Da kommt wieder die Selbstvergessenheit ins Spiel. Wenn ich anfange nachzudenken, wenn mir das Knie wehtut, weil ich wieder mal auf dem Boden bin, um dem Liegenden auf Augenhöhe zu begegnen, wenn ich auch nur daran denke, dass ich müde bin, nehme ich eine Auszeit. Dann bereite ich einen Gottesdienst vor oder den Unterricht, oder ich überlege, wie ich im Antiquitätengeschäft an diese Zinkbadewadewanne komme – das wäre in Verbindung mit einer Glaskaraffe und Rotwein eine wunderbare Installation, um den Offenbarungstext zu begreifbar zu machen, in dem es darum geht, dass Blut, also Leid und Schmerz, der Weg zur Erleuchtung ist. Oder ich gehe joggen; das hat immer schon geholfen.

Dass wir unser Leben selbstbestimmt gestalten können, bedeutet doch fast eine Verpflichtung zum Glücklichsein. Gerade in Alter und Krankheit kommt da leicht Bitterkeit auf: So vieles ist schiefgelaufen, so viel mehr hätte man machen können aus diesem Leben. Wie gehen Sie mit diesem Hadern um?

Wir nennen das Negativtrance. Wenn jemand so versunken ist in schlechten Gedanken, lass ich mir was Überraschendes einfallen. Ich sagt der Frau, dass ihre Schuhe schön glitzern. Oder sage, dass er oder sie sich jetzt einen ganz schlechten Tag machen dürfen. Das bringt sie so durcheinander, dass sie aufmerken und damit erreichbar werden. Das braucht Fantasie und Kreativität.

Und Menschenliebe?

Ja. Das macht Freude. Und Sie dürfen nicht unterschätzen, welche Chance diese Verzweiflung, diese dauerhafte Niedergeschlagenheit ist. Wer ganz unten ist, ist kurz vorm Aufstehen. Im Symptom liegt die Lösung. Nur wer das Graue, Dunkle nicht mehr aushalten kann, erkennt, dass er so nicht mehr leben will. Kaum jemand würde sich ohne diesen Schmerz auf den Weg machen. Ich bin Wegbegleiter, und ich bin nicht allein.

Sie sehen sich also nicht als Einzelkämpfer?

Nein. Wir sind hier ein großartiges Team, und wir haben wunderbare Menschen im Ehrenamt. Wenn Sie sich für Krankenhausseelsorge interessieren, nehme ich Sie mit, als Beobachterin. Man denkt immer, dass so ein stiller Zuhörer stört. In der Welt der Kirche und der Pfarrer hat das keinen Platz, was schade ist. In der Psychotherapie bewährt es sich, wenn jemand zuhört und mitfühlt. Das Interesse der anderen ist wie eine gute Kraft. Solche Unterrichtsstunden sind oft die besten therapeutischen Sitzungen. Das beobachte ich im Krankenhaus auch, wenn die Schwester im Raum ist oder ein anderer Patient mithört. Wer das gar nicht will, kann natürlich mit mir alleine sprechen. Wer nicht reden will, findet vielleicht in der Sandspieltherapie eine Möglichkeit, sich auszudrücken.

Verlangt wird vor allem, so sagt’s das Lehrbuch, dass die Ehrenamtlichen sich Zeit nehmen. Dass sie zuhören und nicht gleich Antworten geben, schwierige Situationen aushalten, nicht beschwichtigen. Zugewandt sind und freundlich, aber nicht aufdringlich; dass sie offen sind für die Menschen und ihre unterschiedlichen Geschichten, der Gegenwart Gottes etwas zutrauen, auch wenn er nicht immer direkt benannt wird. Wie wissen Sie, ob sich jemand eignet für dieses Ehrenamt und für die Arbeit mit Ihnen?

Die Begeisterung, die Voraussetzung ist, bedeutet nicht Hurra-Enthusiasmus. Es heißt, dass man nicht mit einem Konzept im Kopf rangeht, sondern dass man sich leiten lässt. Für mich bedeutet es, aufmerksam zu sein und Ausschau zuhalten. Es ergibt sich immer wieder etwas. Und denen, die sich eignen, wird ja auch eine Ausbildung angeboten. Sie alle sind hier herzlich willkommen.
 
Werdegang eines Klinikseelsorgers
Matthias Brix wurde 1954 in Berlin geboren, ist seit 1975 verheiratet und hat drei Kinder. In Berlin hat er Theologie studiert; eine Ausbildung am Institut für Gestaltpädagogik und in der Klinischen Seelsorge schlossen sich an. Weitere Ausbildungen hat er am Milton Erickson Institut Rottweil und bei der Deutschen Gesellschaft für Sandspieltherapie absolviert. Nach dem Vikariat war er in verschiedenen Kirchengemeinden tätig. Seit 2002 ist er Pfarrer an der Christusgemeinde Crailsheim, 2007 hat er den Zusatzauftrag als Seelsorger am Klinikum Crailsheim übernommen.

Hohenloher Tagblatt /  Haller Tagblatt / 30.12.2017 /  Birgit Trinkle


Seit 2002 ist Matthias Brix Pfarrer an der Christusgemeinde Crailsheim, 2007 hat er den Zusatzauftrag als Seelsorger am Klinikum Crailsheim übernommen. 
Foto Jens Sitarek
Seit 2002 ist Matthias Brix Pfarrer an der Christusgemeinde Crailsheim, 2007 hat er den Zusatzauftrag als Seelsorger am Klinikum Crailsheim übernommen.
Foto Jens Sitarek